Heart Score Fetish

Finished 2015
Three performers and keyboard controlled amplification
duration: 15'



Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele meiner Kollegen (in der Tat habe ich den Eindruck, dass es sich dabei hauptsächlich um männliche Kollegen (sic!) handelt) sich etwas darauf einbilden, komplizierte Partituren abzugeben, voll mit schwierigem musikalischen Text, den "Ihre" Performer*innen in harter Arbeit lernen und umsetzen sollen.
Die Beziehung von Komponist*innen zu Performer*innen ist offensichtlich, neben anderen Aspekten, auch ein Machtverhältnis. Selbstverständlich haben auch Performer*innen macht über Komponist*innen, in diesem Stück geht es aber hauptsächlich um den umgekehrten Fall.
Es ist nicht nur die Kompliziertheit des musikalischen Texts auf den sich Komponist*innen etwas einbilden, sondern auch seine Dichte und die Menge. Möglicherweise weil sie Ihre Machtposition durch das Erzeugen von großen Mengen an dichtem und kompliziertem Text zu vergrößern und/oder zu sichern meinen.
Einer meiner Kollegen lief monatelang mit der Partitur seiner Oper im Rucksack durch die Welt, weil er so stolz war auf den dicken Band, den er da produziert hatte.
Es wird offenbar vielfach immernoch angenommen, dicke und dichte Partituren, voll mit vielen komplizierten Noten wären ein beeindruckender Indikator für die künstlerische Potenz des (oder der) "Schöpfenden".
(Dies ist der Grund für den Umstand, dass der Keyboard-Part dieses Stücks so viel dichter ist als die Parts der Papier-Performer*innen. Die meiste Arbeit am Keyboard-Part floß in die Entwicklung einer Möglichkeit, einen Text zu produzieren der dicht _aussieht_ (seitenlange Akkordkaskaden), aber sehr einfach zu spielen ist. Darüberhinaus ist er im Stück nicht einmal direkt hörbar.)
Kurz gesagt unterstelle ich vielen meiner Kollegen (!) einen SCORE FETISH.
Einen Fetisch, der unter Anderem auch auf dem Rücken von Performer*innen ausgelebt wird. Davon handelt mein Stück.
Es geht um objektivierende Aufführungspraktiken und Produktionsverhältnisse.
Ganz offensichtlich ist darüberhinaus der Ansatz, die Partitur eines Stückes in seiner Objekthaftigkeit (bedrucktes Papier) ganz direkt zum "musikalischen Material" und zum Instrument zu machen. Den Anstoß dazu gab mir die Begegnung mit einer jungen Dame, die selbst ASMR-Reaktionen auf Papier hat. Interessanterweise arbeitete sie in genau dem Kopierladen in dem ich fast alle meine Partituren drucken und binden lasse.
Es ist vermutlich unnötig darauf hinzuweisen, dass ASMR eine ganz deutlich sexuelle Seite hat. Vielleicht könnte man ASMR selbst als eine Art Fetisch-Kultur bezeichnen. Das manuelle Erzeugen kleiner und zarter Laute, das Streicheln und zärtliche Berühren verschiedener Objekte, extrem dicht mikrophoniert und stark verstärkt, oft in Verbindung mit geflüsterter Sprache, erzeugt Atmosphären von Intimität, Zärtlichkeit und Erotik.
Die Entscheidung, den Komponisten-SCORE-FESTISH auf diese Weise zu thematisieren, war also auch die Entscheidung, Performer*innen auf einer Bühne zärtliche Handlungen inklusive klarer erotischer Komponenten mit Papier und Mikrophonen ausführen zu lassen.
HARD SCORE FETISH - jetzt mit explizit sexueller Konnotation.
Aber hier endet es noch nicht.
Die Aktionen der Performer*innen beinhalten eine Gruppe von sehr expliziten Gesten (in der neuen Fassung 2017 kommen noch weitere hinzu).
Das Mikrophon wird zum phallischen Symbol, das geknüllte Papier zur Vagina.
Dies ist natürlich ein sehr drastischer, überhöhender Schritt. Die Explizitheit ist hier genauso gemeint.
Sex. Fetish. Deshalb in Pink, deshalb jetzt: HEART SCORE FETISH, mit dem Herz als Symbol. Kinky. In Pink. Auf der goßen Leinwand.

Score:



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Tech Rider: HeartScoreFetishTec

Additional Files:




Past Performances:


May 10th, 2023
Basel, Gare du Nord, Ensemble Lemniscate
May 9th, 2023
Zürich, Walcheturm, Ensemble Lemniscate
May 8th, 2023
Bern, Progr Aula, Ensemble Lemniscate
Nov 4th, 2018
Berlin, Bethanien, Suono Mobile @ Klangwerkstatt
Feb 7th, 2017
Berlin, BKA, Unerhörte Musik, Liminar @ BKA
Sep 14th, 2016
Mexico City, Museo Universitario del Chopo, Liminar plays Marcoll
Dec 19th, 2015
Stuttgart, Theaterhaus, Suono Mobile, Lutz & Kysela







Performance Setup, Berlin 2017